In der ersten Folge des Kulturkapital-Podcasts ist Annabelle Hornung zu Gast, die von ihrem Dissertationsprojekt zum heiligen Gral und von Geschlechterforschung berichtet. Die Arbeit ist kürzlich als Buch herausgekommen und trägt den Titel: „Queere Ritter: Geschlecht und Begehren in den Gralsromanen des Mittelalters“ (Transcript Verlag).
- Download:
- mp359 MB
- ogg65 MB
- MPEG-4 AAC Audio62 MB
- Opus Audio45 MB
Podcast-Notizen (Shownotes)
00:00:00 Begrüßung und Einstieg
Gast: Annabelle Hornung/ Studium Germanistik/ Bereich Mediävistik/ Forschungsthema Gral und Geschlecht/ Gral und Queere Ritter?/ Ritter der Kokosnuss (aber auch: Wagners Parsifal, Tankred Dorst, Grals-Filme)
00:06:35 Mittelalterrezeption
Mittelalterrezeption als Methode für Literatur, Theater, Film/ Queer Theory/ Wolfram von Eschenbach/ Live-Roleplay/ Mittelaltermärkte/ Pseudo-Mittelalter/ Präraffaeliten, Eskapismus/ Romantisches und dunkles Mittelalter/ Vergleich der Mittelaltermotive in verschiedenen Zeiten/ Bild des Ritters (Prinz Eisenherz, Comics, Medien)/ Dan Brown: Das Sakrileg (Vgl: Umberto Eco: Foucaultsches Pendel)
00:14:59 Queer Theory
Geschlecht und Begehren im Mittelalter des Gralsromans/ Was ist Queer?/ Eine Forschungsmethode (vgl. Strukturalismus, Poststrukturalismus)/ Arbeit in einem Graduiertenkolleg zu Geschlechterforschung/ Erstgutachter mit Schwerpunkt Queer Theory (Andreas Krass, HU Berlin)/ Ausrichtungswechsel: von Geschlechterforschung zur Queer Theory/ Queer (u.a. im Netz) oft synonym für homosexuell/ Queer (i.d. Theorie) Weiterentwicklung der Genderforschung und Gay-Lesbian-Studies/ Folgt Theorien von Judith Butler (Gender Trouble: Dreieck Gender-Sex-Begehren)/ Heteronormatives Begehren deckungsgleich im Dreieck (heterosexuelle Matrix)/ Homosexuelles Begehren nicht mehr deckungsgleich (Dreieck fkt. nicht mehr, Störfaktor)/ Geschlechtliche Kodierung von der Gesellschaft gemacht/ Queer mittlerweile Label, daher lieber „doing queer“ als „being queer“/ „Queer sein“ im Gegensatz zu „queer handeln“/ Wenig queere Ritter, viele queere Objekte im Buch/ Kritisches Hinterfragen von Geschlechterverhältnissen bereichert eigenes Leben
00:26:17 Mittelalterliche Gralsgeschichten
Transcript Verlag, Buch mit 300 Seiten/ Einführung: Überblick zu den Gralsgeschichten
/ Verschiedene Romane im Mittelalter beschäftigen sich mit dem Gral als Ding/ Zuerst im altfranzösischen: Chrétien de Troyes – Perceval-Roman/ Vor 1200, Gral taucht zum ersten Mal auf/ Gral = Silberplatte für Speisen/ Danach im mittelhochdeutschen: Wolfram vom Eschenbach – Parzival-Roman/ Parzival wächst in der Einöde auf, will wie toter Vater Ritter werden/ Nach Abenteuern Ritter bei König Artus/ Über 5 Jahre Gralssuche, wird selbst Gralskönig/ Weitere Gralsmythen: Sagenwelt rund um Artus/ Ritter der Tafelrunde/ Gralssuche als Erfahrung, Initiation/ Vierte Lesart: Christliche Deutung/ Gral als Kelch des Abendmahls/ Bei Robert de Boron: christliches Symbol/ Auch bei Bestseller „Sakrileg“ von Dan Brown/ Parallele Motive, Szenerien wie in den mittelalterlichen Gralsromanen
00:32:57 Gralssucher werden und sein
Wenn man den Gral findet, ändert sich alles (3 von 4 Gralshelden finden ihn)/ Mittelalterliche Romane, etwa 30.000 Verse pro Roman/ Prosa-Lancelot (5 Bände)/ Helden: Parzival, Lancelot, Galahad/ Galahad findet Gral und entschwindet in die Sphären des Himmels/ Parzival wird Gralskönig/ „Die Krone“ Heinrich von dem Türlin/ Gawain – Held der Artusgesellschaft/ Gral als Geheimnis, wird nicht aufgelöst/ Wer will denn den Gral schon finden? Lancelot, der vierte Held, sucht, aber findet nicht/ Selbst im Sakrileg ist die Suche erfolgreich/ Gral als Tupperware/ John B. Marino: Gral kann alles mögliche sein/ Keltische Lesart – Fruchtbarkeitshorn mit Speisewunder und Lebenserhaltend/ Tupperware-Werbung: Das ist der neue heilige Gral/ „Wunsch und Paradies“ (Eschenbach)/ Stupidedia: Artikel zum Hl. Gral/ Christl. Lesart hat sich durchgesetzt/ Indiana Jones „Last Crusade“ – Gral als Kelch des Zimmermanns/ In allen 4 Teilen der Indiana Jones Episoden Gralsgeschichte/ Motivik der Suche/ Erst nach Abenteuer und Bewährung kommt man in die Nähe des Grals/ Parzival am Anfang tölpelhaft, im Narrenkostüm, kann noch nicht zum Gral finden/ Muss zuvor Mitleid und Leid lernen/ Abstammung prädestiniert (Mitglied der Gralsfamilie)/ Schicksal und Bewährung auf der Gralssuche/ Der Ort des Grals/ Eucharistische Ikonografie
00:51:58 Begehren und Geschlecht
Wenn der Gral auftaucht, ist irgendwas mit Geschlecht los/ Der Gral kann verschiedene Formen annehmen/ Ordnet Geschlecht und Ordnung in seiner Umgebung/ In der Gralssphäre: Nicht-Heteronormatives Begehren/ Das alles überordnende Begehren ist das Begehren auf den Gral/ Lancelot und Riese Galahot (keusche Ménage à trois mit Guinevere)/ Galahot begehrt Lancelot, Lancelot hingegen Guinevere/ Galahad (Sohn Lancelots) jungfräuliche, asexuelle Erscheinung/ Geschlecht und Sexualität war kein mittelalterlicher Marker (aber zB. Adel)/ Geschlechterdarstellung, Schönheit im Mittelalter: schöne Beine der Männer, rote und volle Lippen, Wangen bei Mann und Frau/ Schön und passend definiert über gesellschaftlichen Stand/ Schön: Haare, blasse Haut/ Engelhafte, glitzernde Haut (Vgl. „Biss zum…“-Romane/Vampire)/ Parzival = Anti-Held (weniger männlich als sein Gegner Gawain)/Weibliche, transformierte Ritter?/ Bei Dan Brown erstmals eine Frau dabei/ Endet in Ungleichheit, Gralssucherin wird zum Gral (vom Subjekt zum Objekt der Suche)/ Codierung als Thema = da Vinci-Code/ Codierung des Grals in den Werken von da Vinci/Prosa-Lancelot: Parzivals Schwester mit enger, aber keuscher Beziehung zum Helden und stirbt in der Nähe des Grals/ Auf der Suche aber eine homosoziale Gruppe/ Begehren sie nur den Gral? Oder auch die Mitstreiter?/ Der Reiz des Antihelden, Helfer, Gegner/ Der Held kommt nur weiter, wenn ihm jeder hilft/ Figur Gawain: Playboy, Liebe platonisch und körperlich mit drei versch. Frauen ggb. der engelhafte Parzival/ Bei Dan Brown: Figur Albino Silas, wird als was anderes bezeichnet, Masochismus, Schmerz begehren/ Herr der Ringe: ebenfalls Gesellschaft, nur das Ding (Ring) ist schon da/ Andere Perspektive: Gesellschaften, die das begehrte Ding haben, andere die es suchen/ Game of Thrones – Jahr der Mittelalterrezeption in Film und Fernsehen/ Man begehrt im Gral alles mögliche, nur selten normativ/ Im der Sphäre des Grals richtet sich das Begehren auf den Gral/ Je keuscher und aufrichtiger, desto größer die Chance den Gral zu finden
01:17:33 Gral und Esoterik
Pseudo-Wissenschaftssphäre/ Esoterische Lesart/ Geprägt durch C.G. Jung’sche psychoanalytische Lesart/ Sinnbild des weiblichen Uterus/ Tischlein deck Dich-Funktion des Grals und Energie-Idee des Ewig-Lebens/ Grundlage des Sakrilegs spielt auch schon mit Verschwörungstheorien/ Geprägt durch „Der heilige Gral und seine Erben“/ Der Gral löst ein inneres Begehren nach Gossip (Links: 1/ 2/ 3)
01:23:17 Der Gral als Dissertationsthema
7 Jahre Beschäftigung mit dem Thema/ 3 Jahre Graduiertenkolleg/2 Jahre Nebenberuflich/ nach Disputation 2 Jahre nebenberuflich bis zur Veröffentlichung als Buch bei Transcript/ Erst Exposé (15 Seiten)/ Finanzierung der Promotion/ Lage des wiss. Nachwuchs schwierig/ Interdisziplinäres Graduiertenkolleg: Tagungen organisieren, Bücher herausgeben, Austausch mit anderen Fächern/ Wo kommt das Wissen zur Promotion her?/ Lesen, diskutieren, Ergänzen/ „Das Schwierigste ist das Inhaltsverzeichnis, danach ist es Fleiß“/ Viel Ausschluss: kein „Merlin“ von Tankred Dorst, keine Filme, keine Kunst, keine Artusrezeption/ Mittelhochdeutsch um Originaltexte zu lesen/ Das Ende der Dissertation: Disputation/ Diskussion und Verteidigung der Arbeit/ Öffentliche Veranstaltung vor einer Kommission/ 30 Minuten lang/ Promotionsbestätigung nach Disputation (= Dr. des.)/ Promotionsurkunde bei Veröffentlichung der Diss. (= Dr.)/ Hierarchie der Fächer (Dr.nat/jur./phil. usw.): Fächerklischees/ Vgl. Big Bang Theory „Humanities“/ Außerhalb der Uni ist das Fach der Promotion unwesentlich/ „Die Dissertation ist die einsamste Zeit“/ Segen und Fluch, Liebstes und Schlimmstes/ Diss.: Zu groß für einen Kopf zu denken
01:53:13 Alles ist Gral
Dingtheorie (Ding, Token, Kelch, Tupperware)/ Queeres, epistemische, lacansches, poetologisches Ding/ Digitales Ding = Netzgral? (Spiegel Online, Kolumne Sascha Lobo)/ Lobo: Digitale Grale sind nicht zu lösen/ Gral wird gefunden = Erlösung. Wird auch beim Netzgral gesucht/ Netzgral als Weltvereinfachung. Die Suche ist das Problem, nicht das Finden/ Die Debatte ist die Suche und das ist Wichtige (und nicht das Ergebnis)/ Inflationäre Nutzung des Grals: Der Gral ist viel und nichts/ Der Gral ist alles (Pokal, Abendmahlskelch, Füllhorn, im Netz), es gibt aber keinen Netzgral/ Der Gral wird für vieles in Anspruch genommen/ Ein Ding mit Rezeptionsgeschichte/ Das Schillernde, dem man sich nähert, aber letztlich nicht greifen kann.
Gast: Dr. Annabelle Hornung (@ab_hornung)
Gastgeberin: Tine Nowak (@tinowa)
Technik: Uvo Pauls/Audiohölle
Musik Intro/Outro: Richard Wagner „Parsifal“ (1936)