KK021 Vom Forschen mit Grounded Theory

CC BY-SA 2.0 by jeanbapaptisteparis. Quelle: https://www.flickr.com/photos/jeanbaptisteparis/1041028095. Changes made by tinowa (format & logo)Sandra Aßmann ist Juniorprofessorin am Studiengang „Intermedia“ an der Universität zu Köln. Wir haben uns am Rande des Forums Kommunikationskultur der GMK in Köln getroffen, um uns über ihre Dissertation zu „Medienhandeln zwischen formalen und informellen Kontexten: Doing Connectivity“ zu unterhalten. Insbesondere der Aspekt, wie sich der Forschungsprozess mit der Grounded Theory gestaltet hatte, stand im Zentrum des Gesprächs.



Veröffentlicht am 07.12.2015

Podcast-Notizen (Shownotes):

Kurze Einführung in die Grounded Theory Methodology (GTM):

Zur inhaltlichen Vertiefung der Grounded Theory Methodologie eignet sich weiterhin der sechsteilige Podcast “Was ist Grounded Theory?” von Muckel, Maschwitz, Vogt.

00:00:00 Einleitung
Sandra Aßman – seit 2013 Juniorprofessorin an der Universität zu Köln – Studiengang Intermedia (Medien interdisziplinär: Kunst, Musik, Erziehungswissenschaft und Medienpsychologie) – sie ist Erziehungswissenschaftlerin und im Studiengang zuständig für Medienbildung – Was ist eine Juniorprofessur? – angelehnt an das amer. Modell des „assistant professor“ – nach drei Jahren Evaluierung (Projekte, Publikationen etc.) – ggf. folgen drei weitere Jahre der Juniorprofessur – Professur so möglich ohne Habilitation – Promotion notwendig als Voraussetzung.

00:02:32 Podcast in der Lehre
Dieser Podcast wird parallel zur Veröffentlichung in der Lehre an der TU Darmstadt eingesetzt – im Rahmen eines Seminars zu Forschungsmethodologien am Beispel von Grounded Theory  – Tines Studierende müssen sich u.a. mit der Dissertation von Sandra Aßmann auseinandersetzen und der Anwendung von Grounded Theory darin – Hintergrundmaterial zum Forschungsprozess an der Dissertation – der Podcast wird als Zusatzmaterial zur Verfügung gestellt

00:03:30 Der Weg zur Dissertation
Erziehungswissenschaften studiert – unterschiedliche Praktika: von Personalabteilung, über ein Museum bis zur Kinder- und Jugendarbeit – Bandbreite an Möglichkeiten – Fokus im Studium: Erwachsenenbildung – Auslandssemester – im letzten Studiendrittel kam die Entscheidung für das Wissenschaftliche Arbeit als Berufsperspektive – nach dem Diplom war dann die Dissertation der nächste Schritte dahin -zuerst noch im Studium als studentische Hilfskraft in der Allgemeinen Pädagogik/ Erwachsenenbildung tätig – Nach dem Studium angefangen an der Universität Paderborn als wissenschaftliche Hilfskraft bei Bardo Herzig zu arbeiten (Medienpädagogik mit Fokus auf Schule) – nur ein Büro weiter gezogen, aber neuer fachlicher Fokus – Von 2006 bis 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin in Paderborn. Die Stelle war an ein Forschungsprojekt angedockt – Synergien mit der Diss – Welche Auswirkung auf die Methodenwahl hatte die Kopplung an ein Forschungsprojekt? – Ein Diss-Thema fällt nicht vom Himmel – langer Prozess – war schon beim Projektantrag beteiligt – Überlegung, wie kann Diss Teil des Projekts sein – Daten des Projekts nur zum kleinen Teil in die Diss eingegangen – Interesse: Lernen innerhalb und außerhalb von Schule mit Medien –  Froh als die Fragestellung stand – Titel: Medienhandeln zwischen formalen und informellen Kontexten: Doing Connectivity (Inhaltsverzeichnis / Poster) – Doing Connectivity als Ergebnis dieser Grounded Theory

00:12:21 Grounded Theory: Methodenschulung
Prozess sich den Werkzeugen der Forschung zu nähern – Im Studium qualitative Forschung – an dem Lehrstuhl Fokus auf quantitative Forschung (statistische Erhebungs- und Auswertungsmethoden) –  nach der Fragestellung zunächst die Idee mit Triangulation zu arbeiten –  Daten unterschiedlich erheben und auswerten – oder Mixed Methods – unterschiedliche Methoden kombinieren – dann Fortbildung in Hildesheim zu „Grounded Theory“ bei Peter Alheit (vgl. Alheit 1999) – Anstoss über Grounded Theory als Methodologie für die Diss nachzudenken – es gründete sich eine Forscher/innengruppe zu Grounded Theory an der Universität in Paderborn – gegenseitige Unterstützung im Forschungsprozess

00:15:30 Was ist eine Grounded Theory?
Grounded Theory als Methodologie und Methode der qualitativen Forschung – Was kommt am Ende raus: Eine Theorie – Eine Theorie, die „groundet“ ist = stark in den Daten verankert – Theorie nah am Forschungsgegenstand – Grounded Theorie ist auch ein Prozess (daher auch Methodologie) – „immerwährender“ offener Prozess der Auseinandersetzung mit den Daten und der Theorie, an deren Ende wieder eine Theorie entsteht – unterschiedliche Daten können ausgewertet werden – „All is data“ (vgl. Glaser 2002) – früher Grounded Theory ähnlicher Prozess: Marienthal-Studie (Die Arbeitslosen von Marienthal von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel, 1933 – Online-Archiv Uni Graz) – von Arbeitslosigkeit bedrohtes Dorf – kreative Datenerhebung neben Interviews und Fragebögen – Zählen wie schnell oder langsam Personen durch das Dorf laufen, ändert sich dies durch die Arbeitslosigkeit? – Gemeindeversammlungsprotokolle ausgewertet – Forscher/innen sind Teil des Dorflebens geworden, Dokumentation davon – Bsp. dafür was alles Daten sein können

00:21:06 Parallele Forschungsprozesse
Fragebögen, mit denen Schüler/innen von ausgewählten Schulen befragt wurden – Interviews mit Lehrpersonen und Schulleitung – Weblogs führen lassen von Kindern und Jugendlichen – diese betreut und Kommentare gesetzt – Forschungsprojekt: Medienbezogene Lernumfelder von Kinder und Jugendlichen (vgl. Herzig et al. 2010) – vom BMBF gefördert – Ganztagsschulen, die freie Lernorte eingerichtet hatten – Grundidee: Digitale Medien den Schüler/innen näher bringen – Raumkonzept für Medienarbeit – Untersuchungsrahmen: Was passiert an diesen freien Lernorten? Was sind Gelingensbedingungen? – Explorative Forschung – Sehr unterschiedliche Schulen in der Untersuchung (Kontraste) – Fragebögen wurden für unterschiedliche Schulformen angepasst – Verhältnis von Forschungsprojekt zur Forschung an der Dissertation? – In Fragebögen und Interviewleitfäden zum Projekt waren schon Fragen mit Bezug zur Dissertation eingebaut – Weblogs erst Experiment, später großen Stellenwert in der Diss bekommen –  Für die Forschung bedeutete das: Erstmal alles breit anlegen – um sich nichts zu verschliessen, da es durch das Projekt nicht möglich war immer wieder ins Feld zu gehen – Normalerweise: 1. Datenergebung, 2. Auswertung, 3. Erkenntnisicherung, 4. Anpassung für weitere Befragungen – War nicht möglich – Wie geht man damit um? – Hat sich hier auf Jörg Strübig bezogen (vgl. Strübig 2004) – Strübig geht stärker auf wissenschaftstheoretische Hintergründe ein als Glaser und Strauss das gemacht hatten – Rekurs: Anselm Glaser und Barney Strauss: Begründer der Grounded Theory (1960er Jahre, vgl. Video und Podcast oben) – Forschungspraktisches Problem: Originale sind sehr inspirierend, aber sehr offen beschrieben (alles scheint möglich) – Frage als Doktorandin: wenn alles möglich wäre, wird später auch akzeptiert woran ich forsche? – Strübig verdeutlicht, wie man der Methodologie treu bleibt, obwohl Modifikationen notwendig sind – Die Situation von Glaser & Strauss damals war paradiesisch – für sechs Jahre Forschung komplett bezahlt bekommen – so oft ins Feld gehen können, wie nötig – heute: Modifikation der Theorie, um sie Forschungspraktisch möglich zu machen – fordert eine genaue Begründung, warum in welcher Weise mit der Theorie wie verfahren wurde

00:28:48 Datenerhebung und -auswertung
In Deutschland ist die Forschung an Schulen schwierig (unterschiedliche Bundesländer, unterschiedliche Regelungen) – man braucht ggf. Zustimmung vom Ministerium, immer Zustimmung der Eltern – komplexe Zeitplanung für Datenerhebung – flexibel den Gegebenheiten anpassen – Zeitrahmen Forschungsprojekt: zwei Jahre – Für die Dissertation wurden dann noch zwei weitere Jahre benötigt: Schreiben, Daten vergleichen, Theoret. Bezüge – Forschungsgruppe – Memos Schreiben – den eigenen Forschungsprozess dokumentieren – Methodenmemo – Inhaltliches Memo – in der GT wird vieles transparent,was genuin zum Forschungsprozess gehört, was man sich sonst wenig macht – Selbstreflexion: wie forsche ich eigentlich – Memos als Forschungstagebuch? – Unterschiedliche Herangehensweisen – Forschungstagebuch: stärker Forschungskontexte – Memos: stärker inhaltliche Bezüge – Memos digital (digitale Post-Its) – Ziel der Forschung: dichte Theorie produzieren – Memos als eigene Gedankenstütze (aber auch zur Nachvollziehbarkeit der Forschung von Außen)

00:36:17 Medienhandeln: Doing Connectivity
Kleines Settings beforschen – Schulen, Schüler/innen, Lehrkräfte – Wie gestaltete sich die Theoriebildung? – Wollte ursprünglich über Lernen forschen – Wie wird informell gelernt? – Was passiert ausserhalb von Schule mit Medien? – durch die Weblogs wurde deutlich: Jugendliche können informelles Lernen selbst schwer beschreiben – Medien aneignen wird nicht als Lernen empfunden – Medienhandeln – Was machen die überhaupt mit Medien? – Doing Connectivity entstand durch den Prozess des Forschens – Schlüsselkategorien – wenn man eng an den Daten bleibt und Theorien mit einfliessen lässt, kommt irgendwann die Idee, wie die Geschichte der Daten erzählt werden kann – durch die Interpretation der Daten finden  sich Ideen zu Lösung der Forschungsfrage – Doing Connectivity ist die Antwort der Frage: inwiefern man in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kontexten von Lernen mit Medien sprechen kann – Potential von Lernprozessen – viele Einflussfaktoren (wie gehen Lehrpersonen mit Medien um, was ist mit Regeln, welche Medien darf man wo verwenden oder nicht verwenden) – 16 Kategorien entwickelt – Wenn versch. Faktoren erfüllt sind können Kinder/Jugendliche selbst Kontexte in Verbindung bringen

00:42:54 Theoretische Sättigung
Wann ist die Arbeit fertig? – Es gibt diesen Zeitpunkt, an dem man sieht, das funktioniert als Erklärungsmuster für meine Daten – in der Forschungsgruppe vorgestellt und abgesichert – Gruppe dient zur Absicherung dessen, was man da tut

00:44:02 Kodierphasen
Offenes Kodieren – selektives Kodieren (Schlüsselkategorien, Trichter) – axiales Kodieren – Verdichtung der Kategorien – Forschungsgruppe: Funktion? – Theorietexte lesen zur GT – Daten analysieren – Kodierparadigmen anderer – Unterstützung im Forschungsprozess

00:50:45 Zum Schluss
Würdest Du die Dissertation heute Dinge anders planen? – Optimalere Rahmenbedingungen bei Interviews – Würde wieder mit Grounded Theory und mit einer Forschungsgruppe arbeiten – Kleine Aspekte ändern: Stichprobe nach und nach akquirieren – Allerdings: lassen sich Rahmenbedingungen manchmal nicht beeinflussen – Etabliertheit der Grounded Theory in Deutschland / Erziehungswissenschaft? – Anfangs war Unkenntnis der GT gegenüber stärker spürbar, hat sich in den letzten Jahren geändert – gerade erscheinen mehrere Handbücher zur Grounded Theory

Gibt es zu der Episode noch offene Fragen oder Ergänzungen? Dann schreibt uns in den Kommentaren. Wenn die Episode oder der Podcast Euch gefallen hat, dann könnt Ihr uns mit einer Bewertung oder Rezension bei iTunes eine Freude machen.

Literatur:

Gast: Sandra Aßmann (@assmanns)
Gastgeberin: Tine Nowak (@tinowa)
Technik: Uvo Pauls/Audiohölle
Musik: „The Bottom (instrumental)“ by Josh Woodward (CC BY)

Tine Nowak

Gastgeberin des Kulturkapital-Podcasts. Arbeitet beim Museum für Kommunikation Frankfurt.

2 Replies to “KK021 Vom Forschen mit Grounded Theory

  1. Danke für diese großartige, sehr interessante Sendung!
    Ich habe selbst schon einmal mit dieser Methode gearbeitet und stand damals zunächst ziemlich ratlos davor, weil es so frei und unplanbar ist. Allerdings ist gerade das natürlich der große Vorteil ;)
    Ich habe auch den Eindruck, dass die Grounded Theory noch recht unbekannt ist und ihr viele Menschen eher skeptisch gegenüber stehen. Ich hoffe, das wird sich ändern. Diese Folge kann sicherlich einen Beitrag dazu leisten – Danke! :)

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