KK006 Briefe als Zeitzeugen

Kulturkapital Podcast: Monique Behr (Foto: Tine Nowak)Monique Behr ist Ausstellungsmanagerin im Museum für Kommunikation Frankfurt. Im November 2012 eröffnete sie als Kuratorin zusammen mit Jesko Bender die Ausstellung „Emil Behr. Briefzeugenschaft vor – aus – nach Auschwitz„, die auf dem Briefkonvolut ihres Großvaters basiert. Die Ausstellung war zuerst im Museum Judengasse des Jüdischen Museums Frankfurt zu sehen und wanderte dann nach Karlsruhe. Vom überraschenden Fund der Briefe und von der Ausstellung berichtet Monique Behr im Podcast.

(Disclaimer: Der Beitrag wurde im Mai 2013 aufgenommen, die Ankündigungen für Sommer 2013 sind somit veraltet.)

Veröffentlicht am 12.1.2014

Podcast-Notizen (Shownotes)


00:00:00 Begrüßung
Auslöser des Gesprächs: Briefe des Großvaters und daraus resultierende Projekte / 1. Projekt : Dissertation über Künstler, Kuratoren als intellektuelle Zeugen in der Narration des 3. Reiches / Intellektueller Zeuge als Begriff von Geoffrey Hartmann / sie untersucht die intellektuelle Zeugenschaft verschiedener Ausstellungen / thematsiert auch die eigene Ausstellung zu „Emil Behr. Briefzeugenschaft vor – aus – nach Auschwitz“ / bei Künstlern beschäftigt sie sich z.B. mit Michaela Meliáns „Memory Loops„.

00:03:36 Brieffunde
Sie erhielt zwischen 2002-04 eine Kiste mit Briefen / 2005 durchgeschaut wg. Geburtstag des Vaters / Materialsuche für die Geburtstagsrede / Briefe vom Westfeldzug / Kiste bis 2007 geschlossen, wieder rausgeholt und nun Briefe des Großvaters entdeckt/ Briefe vor, aus und nach Auschwitz/ Großvater Emil (*1900) war jüdischer Deutscher und war mit der katholischen Deutschen Hedwig verheiratet / Vater Werner (*1920) war im 3. Reich Mischling 1. Grades / um Studieren zu können hiess es, er müsse Reicharbeitsdienst ableisten und in die Wehrmacht eintreten / 1938: Vater Werner wird als Soldat eingezogen und Großvater Emil kommt nach Dachau / Über das 3. Reich wurde in der Nachkriegszeit in der Familie nicht geredet / Mit 16 – nach Drängen – vom Vater erzählt bekommen, dass der Großvater im Konzentrationslager war.

00:10:03 Ausstellungsidee
Dilemma der emotionalen Distanz? / Erfahrung mit Ausstellungen durch Arbeit im Museum für Kommunikation / Beobachtet, wie Jugendliche sich Briefen in Vitrinen verweigern / Jugendliche haben keinen Bezug zu diesen Medium / Distanz zwischen Betrachter und Brief / Wunsch, Briefe anders zu zeigen / Hürden überwinden / Lösungsweg: Ausstellung mit Studierenden erarbeiten, mit einer jüngeren Ausstellungsgeneration / Seminare in der Germanistik / Konzeption der Ausstellung zusammen mit den Studierenden / Wie kann man die Geschichte des 3. Reiches erzählen, wenn die Zeitzeugen gestorben sind? /
Ko-Kurator ist der Germanist Jesko Bender / Ausstellung im Museum Judengasse (Jüdisches Museum Frankfurt) / Vier Ausstellungstationen: 1-Familie, 2-Einkasernierung (bis Gefangennahme Dachau)/ 3-Klage von Emil Behr gegen Arbeitgeber (Folge: Auschwitz), 4-Diskrimierung in der Nachkriegzeit /

00:16:55 Briefe aus Auschwitz und der Weg dahin
In Auschwitz schrieben nur die Briefe, die Deutsch schreiben konnten / Vgl. Primo Levi / Und von denen waren es insbesondere Arbeiter, die für die Infrastruktur des Lagers von Bedeutung waren / Ziel war Hoffnung auf Überleben zu nähren umso die Arbeitskraft zu stabilisieren/ Emil Behr war in Auschwitz Elektromonteur / Zensierte Briefe / Banale Inhalte / Erhalt von Essenspaketen / Liebe war lesbar / Diverse Adressaten über Ehefrau und Sohn hinaus.
Emil Behr arbeitete für die Reichsvereinigung der Juden / Die Reichsvereinigung wurde aufgelöst ohne dass das den Mitarbeitern mitgeteilt wurde / 1943 waren nur noch Mitarbeiter da, die in priviligierten Mischehen lebten / Emil Behr arbeitete im jüdischen Altersheims in Mannheim / weitergearbeitet ohne Lohn, erst Beschwerde, dann Klage / Gestapo-Gefängnis Mannheim / Ernst Fränkels Normenstaat und Massnahmenstaat / Auseinandersetzung mit Anschein einer Rechtsstaatlichkeit, am Ende dann einfach Gefängnis / Briefe verdeutlichen Normen- und Massnahmestaat /

00: 24:27 Objekte als Zeitzeugen
Erste Ausstellung ohne Zeitzeugen, nur mit Dingen (Briefkonvolut) / Alaeida Assmanns These, dass erst die Zeit beginnt, sich mit diesen Themen freier zu beschäftigen /
Im Fritz Bauer Institut erfahren, es gäbe Protokolle im Hessischen Staatsarchiv von Emil Behr aus dem Vorfeld der Auschwitzprozesse / Dort zum ersten Mal die Geschichte von Emil in seinen eigenen Worten gehört / War beim Recherchieren im Internet auf der Seite eines Holocaust-Leugners auf den Namen ihres Großvaters gestossen / Daraufhin Nachfrage beim Fritz Bauer Institut / Ebenfalls bei der Ausstellungsrecherche entdeckt, dass Emil Behr sowohl bei den Nürnberger Prozessen und beim Reischenbeck-Prozess in München ausgesagt hatte / Eindrückliches Erlebnis.

00: 30:28 Ausstellungskonzeption
Wochenende mit gewerk design zu Grundlagen der Ausstellungsgestaltung / Frage: Was ist die Fragestellung der Ausstellung? / Eigene Fragestellung: Wie Bürokratie ein Menschenleben aus der Bahn werfen kann / Eine Ausstellung konzipieren, die die Besucher in ihrer Gegenwärtigkeit abholt / Jeder hat Erfahrung mit Bürokratie / dies wurde das Ausstellungskonzept und half dann bei der Auswahl der Dokumente / mit Ausstellungsvarianten von Briefen in Vitrinen expermentiert, dann verworfen /Face-to-face Präsentation / Drehbar, dass man auch die Rückseite lesen kann / Metallständer mit Brief im drehbaren Rahmen / Europaletten als Ausstellungsmöbel / Hörspur in der Ausstellung / 2 Jahre Arbeit an der Ausstellung / Viel Lesestoff in der Ausstellung / Wunsch nach einer Kommentarebene, aber nicht noch mehr Lesen / Hörspiel mit 4 halbfiktiven Personen (sie ist eine davon), die sich über das Gelesene aus den Briefen austauschen / Katharina Kellermann und Klaus Walter (Produktion) www.briefzeugenschaft.de / Hörspiele auch ohne Ausstellung hörbar.

00:41:44 Bürokratie als roter Faden
Der Blick von Außen auf das Material / Beate Meyer – Expertin für Reichsvereinigung – hat die Briefe kontextualisiert / Angela Borgstedt, Historikerin, Kontexte der Nachkriegszeit beleuchtet / Diskremierungserfahrung in der Nachkriegszeit bei Rückkehr nach Karlsruhe / 1946 von Amerikanern aus Wohnung geworfen, obwohl ausgewiesen als Überleber des Holocausts / Zusätzlich Verlust des Wohnungsinventars / Wieder mit Briefen um sein Recht gekämpft / Anfängliche Überlegung, ob man Nachkriegsgeschichte wirklich in die Ausstellung integrieren soll / Funktioniert jedoch, da Bürokratie als roter Faden.

00:47:57 Und nun? Ausblick
Stand der Promotion? Promotion in Heidelberg bei Henry Keazor / Erstmal Vorbereitung des neuen Ausstellungsstandorts in Karlsruhe (leider schon vorbei) / Vortrag zur Ausstellung im Rahmen der Goethe Ringvorlesung an der Goethe Universität Frankfurt im Juli 2013 (auch schon vorbei) am Geburtstag von Emil Behr / Suche nach neuen Ausstellungsstandorten (Berlin wäre schön).

Links:

Gast: Monique Behr
Gastgeberin: Tine Nowak (@tinowa)
Technik: Uvo Pauls/Audiohölle
Musik: „The Bottom (instrumental)“ by Josh Woodward (CC BY)

Tine Nowak

Gastgeberin des Kulturkapital-Podcasts. Arbeitet beim Museum für Kommunikation Frankfurt.

One Reply to “KK006 Briefe als Zeitzeugen”

  1. Schöne Serie zu tollem Themenkomplex. Da wird das Bahnfahren doch gleich noch attraktiver…

    Vllt. magst du ja mal hier reinhören. Immerhin hat in diesem Radiobeitrag zum Thema „Facebook-Sucht?!“ auch Deine Doktormutter ihre Einschätzung abgegeben:
    https://soundcloud.com/berlinimpuls/bip-gastbeitrag-machen?utm_source=soundcloud&utm_campaign=share&utm_medium=email&utm_content=https://soundcloud.com/berlinimpuls/bip-gastbeitrag-machen

    LG

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