KK030 Blindtwittern

Foto von Matthias Schäfer bei der Podcast-Aufnahme. Foto: Tine Nowak.Matthias Schäfer ist Geschäftsführer des Dialogmuseums in Frankfurt/M., in dem es Rundgänge in dunklen Räumen für sehende Menschen durch blinde und sehbehinderte Guides gibt. Er ist selbst blind und setzt Technik wie sein Smartphone als Multifunktionswerkzeug im Alltag ein. Mediennutzung mit Apps und im Web steht auch im Zentrum des Gesprächs. Er twittert unter @kamaschaefer u.a. über Technik, Apple, Gedächtnistraining, Inklusion und Barrierefreiheit.

Veröffentlicht am 30.04.2017

Podcast-Notizen (Shownotes):

00:00:00 Einstieg und Biografisches
Geschäftsführer Dialogmuseum – Ausstellungen für Sinne und Kommunikationvon Geburt an blind – kompensiere das mit diversen technischen Geräten – Tagung, die im historische Museum stattfand: Das inklusive Museum – Erstkontakt via Twitter – Lebensweg: Schule in Marburg – Studium in Kassel – Seniorenarbeit – Leiter von einem Sozialdienst – wohnt nun mit seiner Familie in Dieburg  – Arbeit mit Flüchtlingen in Frankfurt/M. – Dialogmuseum“Ich sehe so, wie Du nicht siehst” (YouTube).

00:04:50 Dialogmuseum
Dialog im DunklenKleingruppen werden durch absolut lichtlose Räume geführt – Blinde und sehbehinderte Menschen als Guides – Weinverkostung im Dunkeln – Wording – Vermeiden von Worten macht Kommunikation steif – Matthias ist blind – Kommunikation ohne den anderen zu verletzen – Inklusives Wording: blind nicht als Hauptwort, sondern als Eigenschaft – Statt „der Blinde“ lieber „der blinde Mensch“ – Tipps für Sehende (Blogtext) – Viele Projekte beim Dialogmuseum zu Diversity – Dialog im StillenDialog mit der ZeitCasino for Communication.

00:15:09 Ausbildung und Arbeit
Dialogmuseum als Integrations-/ Inklusionsbetrieb – 60%Mitarbeiter:innen mit Behinderungen – Karrierechancen für Menschen mit Einschränkungen? – Blinde Menschen als Richter, Rechtsawälte, in der Psychologie, in der Wirtschaft – Matthias hatte Eltern, die ihn gefordert haben – Schule für blinde Kinder mit Internat – hatte Entwicklungsmöglichkeiten – Lernen zu Scheitern – Menschen mit Einschränkungen werden oft vor Scheitererfahrungen beschützt – Kleine Klassen in Schulen für Blinde.

00:19:19 Werkzeuge zum Lesen und Schreiben
Brailleschrift gelernt – Lesen über die Finger – 1/4 der blinden Menschen liest Braille – 3/4 der Menschen erblinden später, dann ist die Umstellung auf Braille schwieriger – Für Arbeit mit Excell braucht es Braille, da scheitert die Sprachausgabe am Computer – Externes Blindenschriftdisplay (Braillezeile) für Computer und Smartphone, teuer wie ein Kleinwagen – Braillezeile via Blootooth –  iPad ab Werk schon fähig zu Blindenschrift, Großschrift und für Menschen mit anderen Einschränkungen – als blinder Mensch ist Einkaufen im Apple-Shop einfach: jedes Gerät ist für ihn sofort bedienbar – Liste der VoiceOver-Gesten unter iOS (Blogtext) – bei Android hängt es vom Anbieter ab, theoretisch ist auch alles machbar – Bluetooth-Tastatur zum Schreiben – Fliesstext über Sprachausgabe (Z.B. um Fehler im eigenen Schreiben zu entdecken) – Tabellenzeilen besser mit den Fingern in Braille lesbar. Schlechter in der Sprachausgabe, da sonst die ganze Tabelle memoriert werden muss – Sprachausgabe per Screenreader – Brailleschrift am Computer: wie fkt. das? – Screenreader als Brückentechnolgie – Brücke zwischen der Hardware Smartphone oder Computer und der Hardware freie Zeile – schickt den Bildschirminhalt auf das Zusatzgerät – Demo einer Notizapp am iPhone – nutzt das normalerweise in beschleunigter Form, mit schwarz geschalteten Display – virtuelle Blindenschriftastatur unter iOS: Kombination von 6 Punkten am Smartphone-Display.

Nutzung einer virtuellen Tastatur am Smartphone. Foto: Tine Nowak.

00:32:56 Blind twittern, chatten, browsen
Twitternutzung bevorzugt über virtuelle Blindenschrifttastatur – eher ungern via Spracheingabe, weil viel im öffentlichen Raum unterwegs – Twitterroutinen – Sein Problem: die Begrenzung der Zeichen wird für ihn nicht angezeigt – Pages fkt. sehr einfach – Microsoftbrowser funktionieren am Computer gut – ebenso Chrome, Safari und Firefox – Selektion entlang der Überschriften – MBraille-App – Demo: Zeitung lesen bei Spiegel Online – RSS-Client und Twitterliste für Onlinenachrichten – Persönliche Filter: über Twitterlisten (News, Journalist:innen, wichtige Personen, Freunde usw.).

00:42:19 Barierrefrei im Web & mit Apps
Bildbeschreibung bei Twitter – Bei Einstellung unter „Barrierfeiheit“ werden die Bildbeschreibungen freigeschaltet – eine Menge blinde Menschen nutzen Twitter, weil es nahezu barrierefrei ist – Soziale Netzwerke sind für blinde Menschen von Bedeutung – Kommunizieren auf Augenhöhe – Twitter als Informationsmedium – Facebook ist immer im Fluss, daher mal mehr und mal weniger barrierefrei – Xing ist für den Beruf gut nutzbar – leider nicht so verbreitet, aber von der Nutzung sehr gut: Google+ – Der Status von Barrierfreiheit iändert sich oft – z.B. RMV Fahrplan-App war gut nutzbar, bei einem weiteren Update wurde sie unnutzbar – Apps und mobile Webseiten – schlechte Programmierung, schlechte Strukturen, schlechte Benamungen sind Barrieren für blinde Menschen, die sofort auffallen – DB Navigator ist nicht durchweg prima, aber sehr wichtig und wird viel von ihm genutzt – 350 Apps am Smartphone – WhatsApp und Threema funktionieren sehr gut – iBooks ist sinnvoll, weil schneller und direkter Zugriff auf Literatur – die Spiegel App ist z.B. nicht barrierefrei, dafür ist das dann via Kindl nutzbar.

00:55:35 Inklusionsbotschafter
Wird mittlerweile als Speaker angefragt – z.B. Eröffnungsvortrag bei IBM Hackathon zu Banksoftware – Funktion als Augenöffner für Sehende – Aha!-Erlebnisse – Geschichte der techn. Erfindungen – viele Erfindungen entstammen der Überwindung von Barrieren – einst Sprachassistenten für nichtmobile Menschen – nun Sprachassistenz für alle (Intelligenter Persönlicher Assistent) – Siri, Echo, Cortana – Verlust des Displays = Nutzung wie blinde Menschen – blinder Entwicklungsingenieur bei Mercedes.

01:00:38 Technikinnovationen
Verbesserung von Spracherkennung in den letzten Monaten – A.G. Bell, der Erfinder des Telefons, war Gehörlosenlehrer – Technikskepsis bei neuen Erfindungen z.B. Lesesucht, Bahnfahren (Disclaimer: Die Angst vor der Geschwindigkeit beim Bahnfahren scheint ein Hoax zu sein), – Bewahrpädagogik – Wozu nutzen wir die Technik? – zu schnelle Entwicklungen vs. sinnvoller Umgang – Technik als Hilfe – einst teure Technik, kann heute fast alles das Smartphone übernehmen – Matthias macht Führungen bei der Hilfsmittelmesse und zeigt nützliche Apps für blinde und sehbehinderte Menschen.

01:08:45 Mobilität & Navigation
Google Maps: ziemlich barrierefrei – Blogtext zur Nutzung von Navi-Apps – Orientierungsapps (zeichnet die Routen auf) – Anekdote, bei der Matthias eine Wandergruppe bei Dunkelheit aus dem Wald hinausgeführt hat, mithilfe einer Orientierungsapp – Weg war entlang der Gassi-runde, da waren GPS-Punkte von ihm gesetzt – Blindsquare-App – Termin in Eschborn bei Samsung per Navigation von Bahnhof aus gelaufen (ist allerdings in der Nachbarschaft bei Nokia gelandet) – allein unterwegs in öffentlichen Verkehrsmitteln – Abenteuerlustig – bei Termindruck, an ganz fremden Orten sucht er sich Unterstützung: Umsteighilfen, Familie oder Assistenz über die Krankenkasse oder gleich ein Taxi – hat früher sogar Bergtouren gemacht – reist mit dem Sohn im April 17 nach SriLanka – alle Routen im Navi vorbereitet –

01:19:03 Grenzen
Anstrengung nach einem langen Arbeitstag – Hilfeannehmen –  Hilfen (Blogtext) – wo sind meine Grenzen, wo brauche ich jemanden – Überforderung – Laute Räume – Aber ebenso Besuch von Rockkonzerten – treiben lassen in der Masse – Vertrauen in die Leute, die wegen der Musik da sind.

01:23:25 Tipps zur Gestaltung barrierearmer Medienprodukte
Tines Seminar an der Universität zu Köln (Konzeption einer App für gehörlose und blinde Menschen) – Tipps für die Studierenden? – Barrierefreies Internet – 1) Klare Struktur (z.B. Buttons immer an der gleichen Stelle) – 2) Gute Beschriftungen – 3) Klare Kontraste für Sehbehinderte mit Restsehvermögen (z.B. Rot-Grün-Schwäche beachten) – 4) Bildbeschreibungen nutzen. Hat das Bild eine Funktion oder ist es nur Deko? – 5) feste Orte für Funktion – AudiodeskriptionMuseen lernen gerade ganz viel von Barrierefreiheit – Leichte Sprache.

01:34:44 Smartphone als „Schweizer Taschenmesser“
SMS zur Kommunikation mit gehörlosen Mitarbeiter – Smartphone als Multifunktionswerkzeug – Fotofunktion bedeutsam, weil zur Not macht Matthias ein Foto und fragt per WhatsApp o.ä. was da zu sehen ist – Bedien- und Eingabehilfen für sehbehinderte, blinde, hörbehinderte, für motorisch behinderte und kognitiv eingeschränkte Menschen – Reduktion des Funktionsumfangs für Senior:innen – Andocken und Steuern des Hörgeräts via Smartphone.

„Wenn ich Vorträge halte über den Bereich Inklusion, dann stelle ich mich da hin und sage, hier in meiner Hand habe ich eigentlich die Inklusion schlechthin.“

Matthias will in Zukunft ebenfalls podcasten: Hirncast (tba).

Cover der Podcast-Episode KK030.

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Gast: Matthias Schäfer (@kamaschaefer)
Gastgeberin: Tine Nowak (@tinowa)
Technik: Uvo Pauls/Audiohölle
Musik: „The Bottom (instrumental)“ by Josh Woodward (CC BY)

Tine Nowak

Gastgeberin des Kulturkapital-Podcasts. Arbeitet beim Museum für Kommunikation Frankfurt.